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Titel
Der kyprische Apoll'. Heiligtum und Kult des Apollon Hylates in Kourion


Autor(en)
Ambros, Gabriele
Reihe
Kypriaká – Forschungen zum Antiken Zypern 3
Erschienen
Wien 2019: Holzhausen
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Körner, Historisches Institut, Universität Bern

Das antike Zypern ist bekannt für den Kult einer von den Griechen mit Aphrodite gleichgesetzten Fruchtbarkeitsgöttin. Daneben kam auch Apollon große Bedeutung zu. Die Monographie von Gabriele Ambros fasst nun die Evidenz wie die Forschungsdiskussionen um den zyprischen Apollonkult zusammen, dessen Verehrung sich von der im griechischen Mutterland deutlich unterschied. Ziel der Arbeit ist es, mittels eines althistorischen Zugangs „aus den verschiedenen fragmentarischen Narrativen und bruchstückhaften Einzelteilen […] eine Gesamtschau zu schaffen“ (S. 7). Dabei bezieht Ambros epigraphische Zeugnisse, antike literarische Darstellungen (vor allem Mythen) und archäologische Befunde mit ein. Sie versteht ihre Arbeit nicht als rein religionsgeschichtliche Studie, sondern möchte auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Hintergründe der Apollonverehrung auf Zypern beleuchten. In vielen Aspekten ist das Werk dabei den grundlegenden Arbeiten von Yannick Vernet verpflichtet.1

Nach einem Überblick über die Geschichte der Insel stellt Ambros die lokalen Besonderheiten von Religion und Kulten vor, um sich dann den Formen der Apollonverehrung zuzuwenden. Weitere Themen sind Kultorte, vor allem Kourion, das bekannteste Heiligtum des Gottes auf Zypern, sowie mögliche Kultpartner Apollons, wobei Aphrodite und Dionysos besondere Bedeutung eingeräumt wird. Überzeugend zeigt Ambros auf, wie wenig die Apollonverehrung auf Zypern mit den aus dem griechischen Zentralland bekannten Kultformen zu tun hatte. Großes Gewicht legt sie auf die Frage nach den Wurzeln des zyprischen Apollon. Sie sieht in ihm eine synkretistische Gottheit, in deren Verehrung phönizische, autochthone und griechische Vorstellungen eingeflossen seien. Dabei gewichtet sie die phönizischen Einflüsse am stärksten, wie ihrer Ansicht nach überhaupt „alle mit griechischen Namen verehrten Gottheiten Zyperns Kultvorgängerinnen und -vorgänger aus dem phönikischen Raum hatten“ (S. 71). Auch der zyprische Apollon gehe auf einen phönizischen Vorläuferkult zurück. Diese Auffassung wird durch das gesamte Werk zwar mehrfach wiederholt, aber nicht schlüssig belegt. Statt einer linearen zeitlichen Abfolge von zunächst phönizischen zu griechischen Kultformen besteht ja auch die Möglichkeit, dass die Götternamen verschiedener, bereits nebeneinander existierender Kulte miteinander gleichgesetzt wurden. Die Annahme, dass auf den zyprischen Apollon auch nahöstliche Einflüsse einwirkten, ist natürlich nicht abwegig. Doch lässt sich dem vorhandenen Material nicht entnehmen, ob er eine Weiterentwicklung des phönizischen Reshef darstellte, der sich bereits im spätbronzezeitlichen „Barrengott“ aus Enkomi manifestiert habe. Zu wenig evidenzbasiert bleibt auch der Versuch, in Idalion den „Schlüssel der Transformation des Reshef zu Apollon“ (S. 130) zu suchen. Ambros zufolge wurde Apollon Amyklaios auf Münzen in der Gestalt einer Säule verehrt, was seine Verschmelzung mit dem phönizischen Reshef erleichtert habe. Der Prägeort der Münzen wird allerdings nicht genannt. Generell muss vieles in der Verehrung des Gottes für die archaische und klassische Zeit unklar bleiben, ist doch nicht einmal der Name „Apollon“ vor dem 4. Jahrhundert v. Chr. auf Zypern bezeugt. Weihungen in Kourion wurden davor in der Regel „für den Gott“ ohne weitere Namensangabe aufgestellt.

Des Weiteren nimmt Ambros für Zypern nur zwei Hauptgottheiten an, Aphrodite und Apollon, denen sämtliche anderen untergeordnet gewesen seien, was sie als „Umformung des Polytheismus zu einer Art ‚Henotheismus‘“ (S. 72) deutet. Auch wenn den beiden Gottheiten zweifellos eine zentrale Bedeutung in der zyprischen Religion zukam, wäre dennoch die These der Unterordnung aller übrigen Gottheiten genauer zu begründen, die Verwendung des Begriffs „Henotheismus“ genauer zu prüfen gewesen. So wird man kaum den wichtigen Kult des Zeus in Salamis als „untergeordnet, um nicht zu sagen unbedeutend“ (S. 68) bezeichnen können. Die Kulte der Aphrodite und des Apollon dürften aber zu einer gesamtzyprischen Identität beigetragen haben, an der alle Sprachgruppen auf der Insel, Griechen, Phönizier und Eteokyprer, teilhatten, wie Ambros überzeugend darlegt. Die Bedeutung Apollons in hellenistischer Zeit (für die aufgrund der besseren Überlieferungslage tragfähigere Schlussfolgerungen möglich sind) wird durch die Weihungen der Ptolemäer in Kourion bezeugt.

Sehr bedenkenswert sind Ambros’ Überlegungen zur Existenz einer sakralen Landschaft verschiedener Kulte im Südwesten Zyperns, die neben den großen Heiligtümern von Kourion und Palaipaphos auch zahlreiche kleinere wie Rantidi oder Amargeti umfasst haben dürfte. Der Ansatz, ländliche Heiligtümer weniger als Grenzmarkierungen (so in der jüngeren Forschung vor allem von Sabine Fourrier2 vorgeschlagen), sondern mehr als Teil eines Netzes zu betrachten, das Königtümer verband, sollte in weiteren Studien vertieft werden.3

Die Arbeit weist eine Reihe von Ungenauigkeiten, zum Teil auch Fehlern auf: Unzutreffend ist beispielsweise die Aussage, der „Basileus“ sei in mykenischer Zeit „der Stellvertreter des ‚Anax‘“ (S. 29) gewesen; vielmehr handelte es sich um einen höheren Verwaltungsbeamten, dessen genaue Funktionen Gegenstand von Forschungsdiskussionen sind.4 Die Bronzetafel von Idalion wurde im Athena-Heiligtum gefunden, nicht „auf der Belagerungsrampe“ (S. 36) – eine solche ist in Idalion nicht bezeugt, sondern (je nach Interpretation des Befunds) in Palaipaphos. In ptolemäischer Zeit gab es keinen Epistrategos auf Zypern (so aber S. 42); der höchste Beamte auf der Insel war der Stratege. Die Inschrift Les inscriptions chypriotes syllabiques (ICS) 220 datiert nicht ins Jahr 264 v. Chr. (so S. 95), sondern 389 v. Chr. Dass die Stele von Elephantine die ägyptische Herrschaft über Zypern „bezeugt“ (S. 35), lässt sich angesichts der unklaren Formulierung im Text der Inschrift sicherlich nicht so sagen und wird in der jüngeren Forschung kritisch beurteilt. Eine „Dichotomie der phönikischen und griechischen Königreiche“ zeigt sich im Zyprischen Aufstand nicht „in aller Deutlichkeit“ (so S. 36): Die Quellen schweigen über die ethnische Zugehörigkeit der Aufständischen. Die Forschung nennt König Pumiathon von Kition nicht „fälschlicherweise“ Pygmalion (so S. 40, Anm. 197). Vielmehr ist dies die übliche griechische Version des phönizischen Namens, so beispielsweise bei Diodor (19,79,4). Ob Keryneia ein eigenes Königreich war (so S. 39 u. 40), ist sehr umstritten; in jedem Fall ist die Zuweisung des bei Stobaios (4,32,21) ohne genauere Lokalisierung überlieferten Königsnamens Themison zu Keryneia eine längst überholte These von Engel5, für die jegliche Anhaltspunkte fehlen. Unpassend betitelt ist das Unterkapitel „Alasija – eine zentralistisch regierte Insel“ (S. 17): Wie Ambros selbst zeigt, ist unklar, wofür der spätbronzezeitliche Name Alasija steht, ob für eine einzelne Stadt oder für die gesamte Insel. Ferner lässt sich aus den wenigen Quellen, die verstanden werden können, kaum erschließen, wie die Verwaltung in Alasija aussah. Die These, im kleinen Heiligtum Rantidi bei Paphos seien Aphrodite und Apollon gemeinsam verehrt worden (so S. 116, wo gar von einer „konkrete[n] Evidenz“ gesprochen wird), ist durch die Neulesung der Inschriften überholt: Es findet sich keine Weihinschrift, die für die beiden Gottheiten aufgestellt wurde.6 Die von Cesnola angeblich in Kourion gefundenen Goldarmreifen mit der Inschrift ICS 176 sind nicht als Weihungen des paphischen Königs Etewandros ausgewiesen (so S. 114, Anm. 691), sondern lediglich als sein Besitz (Name im Genitiv). Sie müssen also nicht Weihungen für Apollon gewesen sein. Vielmehr könnte es sich auch um Beutegut handeln, das aus Paphos nach Kourion gelangt war. Somit ist die darauf gegründete Schlussfolgerung, dass „die Könige von Paphos, Priester der Herrin Aphrodite, […] auch ihre Verehrung für ihren Parhedros Apollon zeigen“ (ebd.) wollten, nicht zwingend.

Ambros hat eine umfangreiche und gründliche Sammlung des Materials zum Apollonkult auf Zypern vorgelegt. Manche der Interpretationen sind nicht nachvollziehbar oder werden nicht näher begründet. Dazu kommen verschiedene Irrtümer. Dennoch legt sie einige sehr bedenkenswerte Thesen vor, so zur identitätsstiftenden Funktion der Apollonverehrung oder zur integrativen Funktion von Heiligtümern in einem größeren topographischen Kontext. Somit stellt die Monographie mit ihrer Materialfülle und ihren Denkanstößen eine hilfreiche Ausgangslage für künftige Untersuchungen zur zyprischen Religion dar.

Anmerkungen:
1 Die Dissertation von Yannick Vernet (L'Apollon de Chypre. Naissance, évolution et caractéristiques du culte apollinien à Chypre de ses origines à la fin de l'époque héllénistique, Avignon 2015) ist noch nicht veröffentlicht; ihre Ergebnisse wurden jedoch in einer Reihe von Aufsätzen publiziert, so zur Bedeutung des zyprischen Apollon als Naturgottheit: L’Apollon chypriote, de la nature et des animaux, in: Cahiers du Centre d’Études Chypriotes 41 (2011), S. 251–264; zu den Beziehungen zwischen Aphrodite und Apollon: Aphrodite et Apollon. Essai sur une relation divine privilégiée à Chypre, in: Cahiers du Centre d’Études Chypriotes 45 (Hommage à Jacqueline Karageorghis) (2015), S. 95–106; zur Bedeutung des Apollon-Kults im Umland von Paphos: Le culte d’Apollon à Nea Paphos et ses environs de la fondation de la ville à la domination romaine, in: Claire Balandier (Hrsg.), Nea Paphos. Fondation et développement urbanistique d’une ville chypriote de l’antiquité à nos jours. Études archéologiques, historiques et patrimoniales, Bordeaux 2016, S. 301–313.
2 Sabine Fourrier, Les territoires des royaumes chypriotes archaïques. Une esquisse de géographie historique, in: Cahiers du Centre d’Études Chypriotes 32 (2002), S. 135–146; dies., La coroplastie chypriote archaïque. Identités culturelles et politiques à l’époque des royaumes, Lyon 2007.
3 Wichtige Ansätze zu dieser Frage wurden von Giorgos Papantoniou vorgelegt, auf den auch Ambros zurückgreift: Religion and Social Transformations in Cyprus. From the Cypriot Basileis to the Hellenistic Strategos, Leiden 2012.
4 Falsch ist zudem Ambros’ Verweis auf die Monographie des Rezensenten als Beleg für die Behauptung (Christian Körner, Die zyprischen Königtümer im Schatten der Großreiche des Vorderen Orients. Studien zu den zyprischen Monarchien vom 8. bis zum 4. Jahrhundert v. Chr., Leuven 2017, S. 323f.): Dort wird der qa-si-re-u als „Titel eines höheren Beamten“ (S. 323) bezeichnet, nicht als „Stellvertreter“ des Wanax. Fehlerhafte Verweise auf Sekundärliteratur finden sich auch an anderen Stellen: Laut Ambros (S. 30, Anm. 129) versteht Körner unter dem Begriff basileus für Zypern nicht einen König, sondern einen hohen Beamten: Dabei übersieht sie, dass Körner hier (Königtümer, S. 324) die ursprüngliche mykenische Begriffsverwendung meint, nicht die spätere auf Zypern. Unter Verweis auf Josef Wiesehöfer, Großkönige und Stadtfürsten – Eteokyprer, Griechen und Phoiniker. Geschichte Zyperns in klassischer Zeit, in: Sabine Rogge (Hrsg.), Zypern. Insel im Brennpunkt der Kulturen, Münster 2000, S. 143–158, hier S. 144, spricht Ambros (S. 51) von der Wahrscheinlichkeit einer „nicht-griechische[n], möglicherweise eteokyprische[n] Bevölkerung in Kourion“. Doch Wiesehöfer reiht Kourion in die griechischen Städte ein, und dies zu Recht, wurden in Kourion doch keinerlei eteokyprische Texte gefunden. Für eine Verehrung Apollons und Aphrodites in Rantidi-Paphos verweist Ambros auf Olivier Masson (Les inscriptions chypriotes syllabiques. Recueil critique et commenté, 2. Aufl., Paris 1983, S. 127–130): Masson gibt zwar in der Tat die alten Lesungen der Inschriften von Richard Meister wieder, zeigt jedoch in seinen Kommentaren dazu auf, dass diese Lesungen eben nicht haltbar sind (vgl. auch unten Anm. 6).
5 Wilhelm Engel, Kypros. Eine Monographie, Berlin 1841, S. 364f.
6 Die Auffassung, in Rantidi wären Aphrodite und Apollon verehrt worden, geht auf Richard Meister (1911) zurück und ist durch die sorgfältige Neuedition sämtlicher Inschriften durch Terence B. Mitford und Olivier Masson widerlegt (The Syllabic Inscriptions of Rantidi-Paphos, Ausgrabungen in Alt-Paphos auf Cypern, Bd. 2, Konstanz 1983); Masson kommt darin zum Ergebnis: „we are in a state of complete ignorance about the problem of the local deity (or deities) at Rantidi“ (S. 27).

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